Baltischer Weg – baltische Kette

Die „Baltische Kette“ als Teil des „Baltischen Wegs“ in die Unabhängigkeit wurde zum Anfang des Endes der Sowjetunion. Das Datum der Aktion „Baltische Kette“ vom 23. August 1989 war seinerzeit mit Bedacht gewählt, denn genau 50 Jahre zuvor wurde der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt mit dessen Zusatzabkommen unterzeichnet. Damit wurde das Baltikum dem sowjetischen Einflussgebiet zugeschlagen und das besiegelte das Ende der Unabhängigkeit Estlands, Lettlands und Litauens.

Die Vorgeschichte: Litauen, Lettland und Estland im 20. Jahrhundert

Als der Erste Weltkrieg begann, gehörten die drei baltischen Länder Litauen, Lettland und Estland mit den großen deutschbaltischen Bevölkerungsteilen noch zum russischen Zarenreich als Ostseegouvernements Estland und Livland. Kurland und weite Teile Litauens waren bereits im Zuge der drei Teilungen Polens 1772, 1791 und 1795 zum Zarenreich gekommen. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs gehörten also große Teile des Baltikums zum Russischen Zarenreich.

Im Verlaufe des Ersten Weltkriegs wurde fast das gesamte bis dato russische Terrain des Baltikums von deutschen Truppen besetzt. Die daraus folgende Abtrennung von Russland ebnete den Weg zur staatlichen Eigenständigkeit. Im Februar 1918 erklärten Estland und Litauen ihre Unabhängigkeit, Lettland im November 1918. Der Este Weltkrieg aber wurde zwischen Estland und der Sowjetunion endgültig erst im Frieden von Tartu im Februar 1920 beendet. Lettland beendete im August 1920 im Frieden von Riga den Kriegszustand.

Für Litauen hingegen wurde der Friedensprozess schwieriger. Um die litauische Hauptstadt Vilnius kam es zum Streit mit dem wiedererstandenen Polen. Vilnius nämlich hatte eine deutliche Mehrheit polnischer und jüdischer Bewohner. Polen war bei der Neugründung zunächst ein Staat ohne feste Grenzen und erstrebte die Wiedererstehung des einstigen Großstaates. Die Sowjetunion hingegen hatte im litauisch-sowjetischen Friedensvertrag vom Juli 1920 Vilnius als litauische Hauptstadt anerkannt. Zwar gelang dem Völkerbund die Vermittlung eines polnisch-litauischen Waffenstillstands, dennoch marschierten die Polen am 9. Oktober in Vilnius ein und die litauische Regierung wechselte nach Kaunas über.

Im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts erfuhren alle drei baltischen Staaten ein Wechselbad von Unabhängigkeit und Besetzung. In den Jahren zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 blieben in der Zwischenkriegsphase alle drei baltischen Staaten unabhängig, gaben sich demokratische Verfassungen und entwickelten jeweils eigenständige Kulturleben. Estland begründete sogar 1925 die Kulturautonomie von Minderheiten und ermöglichte es ihnen, ein eigenes Schulwesen aufzubauen.

Mit den beiden Unterschriften von Molotow und Ribbentrop unter das Zusatzprotokoll zum Hitler-Stalin-Pakt am 23. August 1939 aber war das Schicksal der souveränen Staaten Litauen, Estland und Lettland besiegelt: Sie wurden der sowjetischen Einflusssphäre zugeordnet, von der Sowjetunion besetzt, annektiert und zu Sowjetrepubliken umgewandelt. Die mit dem Vertrag besiegelte erste Neuaufteilung Osteuropas brachte auch die erneute Teilung Polens zwischen dem Dritten Reich und der Sowjetunion mit sich. In der Folge ermöglichte der Vertrag und Stalins Stillhalten Hitler den nun viel risikoärmeren Überfall auf Polen.

Die „Baltische Kette“ und der „Baltische Weg“ in die Freiheit

Man bedenke die Zeit um 1989, in der die „Baltische Kette“ von Vilnius nach Tallinn führte. Es waren die Jahre bevor jedermann ein Handy hatte, Zugang zum Internet gab es nicht, private Telefone waren in der noch bestehenden Sowjetunion eher selten. Es war viel Mund-zu-Mund-Propaganda nötig und diejenigen, die Telefone hatten, gaben die Ankündigung weiter, es lief wie bei einem Schneeballsystem. So wurde schnell aus dem Freiheitswillen vieler Balten eine Freiheitsbewegung, hinter der die überwältigende Mehrheit gleich dreier Völker mit dem unbändigen Willen zur Unabhängigkeit stand. Diese Bewegung war fast im Handumdrehen so stark geworden, innerhalb kurzer Zeit gelang es Unmengen von Menschen koordiniert und zeitgenau auf die Straße zu bringen.

Die Organisatoren hatten es ausgerechnet: bei Berücksichtigung der Spannbreite der ausgebreiteten Arme eines Menschen würde man für so eine lange lückenlose Menschenkette mehr als eine halbe Million Menschen brauchen. Dabei lebten in den drei Ländern zusammen nur rund sieben Millionen Einwohnern. So viele Menschen zu mobilisieren war ein Kraftakt, das wusste man. Doch am Ende brachten die Organisatoren noch viel mehr Menschen auf die Straße, friedlich bei Kerzenschein singend und sich an den Händen haltend. 

Wie reagierte die Sowjetunion?

Zwar war KPdSU-Chef Michail Gorbatschow bereits seit 1985 mit seiner „Perestroika“ der starke Mann in Moskau, doch wie würde er auf die Unabhängigkeitsbestrebungen der drei baltischen Staaten reagieren?

Baltische Aktivisten hatten schon ja längst vor der Bildung der „Baltischen Kette“ damit begonnen den Kreml mit ihren eigenen Forderungen zu konfrontieren. Schon 1987 konnten sie durch öffentliche Proteste die Ansiedlung riesiger Industrieprojekte in Estland und Lettland verhindern. Und die Zahl der Demonstranten wuchs und wuchs von Demonstration zu Demonstration. Besonders Demonstrationen an historischen Jubiläen wie der Staatsgründung der drei Baltenstaaten, dem Hitler-Stalin-Pakt oder zu den Jahrestagen der großen Deportationswellen, die unzählige unliebsame Litauer, Letten und Esten in die Weiten der sibirischen Landschaft und in Arbeitslager verfrachtet hatten. Schon die "Singende Revolution" brachte 1988 Hunderttausende zum Singen von Protestsongs und patriotischen Liedern auf die Straßen. Immer mehr wurde die Furcht der Furcht überwunden.

Doch in der Sowjetunion wurde die Existenz der den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt ergänzenden Abmachung noch immer bestritten, obwohl sie im Westen schon seit den 1950er Jahren bekannt war und publiziert worden war.  Die „Baltische Kette“ aber nahm ja Bezug auf genau dieses Zusatzabkommen, indem Hitler und Stalin Osteuropa in Interessenssphären aufteilten. Doch aus Moskau kam nur Schweigen. Umso energischer zeigten die Menschen im Baltikum am Abend des 23. August 1989 in Form einer Menschenkette und begleitet von Lichtern und Gesang, dass sie bereit waren, für die Wiedergewinnung der Unabhängigkeit ihrer Länder aufzustehen. Es war der Beginn der „singenden Revolution“, dieses baltischen Wegs in Selbstbestimmung und Freiheit, die letztlich zur Unabhängigkeit im Jahr 1991 führte. Dazwischen gab es Rückschläge aber schon der Beginn zeigte, dass der Wind sich im Baltikum unumkehrbar in Richtung Freiheit gedreht hatte. Es war die Zeit des „Winds of change“.

Im Jahr 1988 begann die Protestbewegung Volksfronten zu gründen, die sofort Lokalwahlen gewannen. Damit war plötzlich das politische Monopol der kommunistischen Parteien dahin. Estland war das erste der drei Baltenländer, das schon Ende 1988 seine Souveränität erklärte und verkündete, dass das Recht der Republik Estland vor dem Recht der Sowjetunion stand. 
Das alles musste Moskau als Provokation auffassen, dennoch blieb eine Klärung noch fast drei Jahre lang aus. Inzwischen bröselte der gesamte Ostblock auseinander. Selbst die DDR überlebte nicht, es kam sogar zum Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland. Gorbatschow versuchte jegliche Änderung am innersowjetischen Rechtsstatus ohne Gewalt zu unterbinden. Der Westen stützte Gorbatschow aus Angst vor einem unkontrollierbaren Zusammenbruch der Sowjetunion und einer Störung des Vereinigungsprozesses der Bundesrepublik und der DDR.

Der Westen beschloss, sich nicht ins Geschehen im Baltikum einzumischen. Lediglich inoffizielle Unterstützung gab es und solche aus westlichen nichtstaatlichen Friedensbewegungen. Aus blieb auch eine offizielle westliche Unterstützung für die Freiheitsbestrebungen der baltischen Staaten. Selbst als am 23. August 1989 aus Anlass des 50. Jahrestages des Hitler-Stalin-Paktes die "Baltische Kette" Vilnius mit Riga und Tallinn verband, gab es keine offiziellen Stellungnahmen. Der Kreml reagierte erst wieder, als Litauen sich im März 1990 für unabhängig erklärte, und zwar mit einer Wirtschaftsblockade und der Idee eines neuen Unionsvertrags. Der aber wurde sofort von den drei Baltenrepubliken abgelehnt.

Dann kam es im Januar 1991 doch noch zu gewaltreichen Auseinandersetzungen auf den Straßen von Vilnius und Riga. Sowjetische bewaffnete Einheiten stürmten die Telekommunikationszentren sowie die Amtsgebäude, wobei es zu blutigen Kämpfen kam. Erst jetzt ließen die westlichen Staaten ihre Nichteinmischungsstrategie fallen. Die Entscheidung aber fiel endgültig erst durch den Putsch in Moskau im August 1991. 

Im Frühjahr 1990 hatten Lettland und Estland ihre Unabhängigkeit durch die Erklärung der Wiederherstellung der lettischen und estnischen Unabhängigkeit von 1918 erklärt. Die internationale Anerkennung folgte nun sofort nach dem Putsch der kommunistischen Hardliner gegen Gorbatschow im Sommer 1991. Viele westliche Länder hatten ja die Annexion der baltischen Staaten durch die Sowjetunion nie anerkannt. Ein Staat nach dem anderen öffnete eine Botschaft in den baltischen Hauptstädten.

Baltische Freiheit heute

Nun ist die „Baltische Kette“ vom 23.August 1989 schon wieder mehr als 30 Jahre her, diese spektakuläre fast 700 Kilometer lange Kette aus Millionen von sich an den Händen haltenden singenden Menschen, die von Vilnius über Riga nach Tallinn führte und Menschen aus Litauen, Lettland und Estland im Protest gegen die immer noch währenden Folgen des Hitler-Stalin-Pakts zusammenführte. Inzwischen sind die drei Balten-Staaten Mitglieder der EU und der NATO, sind voll in die westlichen Gemeinschaften integriert und stehen heute unter dem militärischen NATO-Schutzschirm. 

BALTIKUMREISEN organisiert Themenreisen auf der ehemaligen Route und ermöglicht das Treffen mit Zeitzeugen und Teilnehmern von damals.
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