Viljandi – Kulturstadt in den südestnischen Wäldern

Viljandi - auf Deutsch Fellin – ist eine Kreisstadt im Zentrum Estlands und liegt rund 160 km südöstlich von Tallin mitten im Land. Mit knapp 20.000 Einwohnern ist die alte Hansestadt die sechsgrößte Stadt Estlands und liegt unweit des Viljandi-Sees etwas verträumt inmitten der südestnischen Wälder. Der gut viereinhalb Kilometer lange See wurde dank eines Liedes bekannt, das die Geschichte eines Schiffers aus Viljandi erzählt, der von den schönen Augen seiner Jugendliebe träumt. Von der Stadt aus hat der Besucher eine malerische Aussicht auf den See und die traditionelle Holzarchitektur der Stadt. Viljandi ist sowohl für Natur- als auch für Kulturfreunde gleichermaßen attraktiv und lohnt einen Stopp auf einer Tour durch Estland in jedem Fall.

Die mächtigste Ordensburg des Baltikums

Die Ufer des Viljandi-Sees waren schon früh besiedelt, das belegen die ältesten Siedlungsfunde aus dem fünften Jahrtausend vor Christi Geburt. Die ersten Spuren einer von den Esten errichteten hölzernen Burg stammen aus der Wikingerzeit. Auch erste Handelsrouten führten schon in der Wikingerzeit durch Viljandi. Erstmals urkundlich als fester Punkt an einer Handelsroute wurde Viljandi 1154 durch den reisenden Geographen, Kartographen und Biologen Muhammad al-Idrisi (1100-1166) erwähnt, als er im gleichen Jahr auch das damals Kolovan genannte Tallinn beschrieb. Zu jener Zeit im 12. Jahrhundert kam es zur ersten auf Dauer angelegten Besiedlung der Territorien um die auf einem Hügel stehende Festung Viljandi herum.

Wenig später eroberte der Schwertbrüderorden im Jahr 1223 die alte Wallburg mit den hölzernen Palisaden. Schon im folgenden Jahr begannen die Kreuzritter mit dem Ausbau der Burganlage zu einer steinernen Festung, die kontinuierlich erweitert wurde. Die Erweiterung der Burg dauerte über ein Jahrhundert. Das Konventhaus des Deutschen Ordens wurde erst im frühen 14. Jahrhundert fertiggestellt. Seinerzeit galt der Bau als mächtigste Burg des Baltikums. Erst in den Schwedisch-Polnischen Kriegen des 17. Jahrhunderts wurde die Festung zerstört. Später verwendeten die Bewohner von Viljandi noch taugliche Burgreste für den Stadtausbau.

Nach der Beendigung der Ausgrabungen auf dem Burggelände von 1878 bis 1879 wurde die alte Ordensburg rekonstruiert. Heute ist das Burggelände ein beliebter Veranstaltungsort für Open-Air-Festivals.

Ein Blick in die Geschichte Viljandis

Im Jahr 1237 vereinigten sich der Deutsche Orden und der Schwertbrüderorden. Damit erwarb der Deutsche Oden mit den livländischen Kommenden auch das Meistertum Livland, wo nach dem erfolgreichen Muster Preußens das System der Burgen erweitert wurde. Viljandi wuchs rund um die Burg herum rasch heran. Schon 1283 erhielt die Stadt unter dem Namen Fellin durch den Ordensmeister des Livländischen Ordens Wilhelm von Endorpe die Stadtrechte verliehen.

Viljandi muss irgendwann zu Beginn des 14. Jahrhunderts der Hanse beigetreten sein, das genaue Datum ist nicht überliefert. Erstmals als Hansestadt urkundlich erwähnt wurde die Stadt Fellin im Jahr 1346. Die Bedeutung der Stadt wuchs weiter, wurde sie doch ein zunehmend wichtiger Ort an den Routen des Russlandhandels.
Es folgte eine lange kriegerische Zeit auch für Viljandi. Im von 1558-1583 dauernden Livländischen Krieg (Erster Nordischer Krieg) musste Viljandi 1560 bei der russischen Belagerung große Zerstörungen hinnehmen. Sowohl die Ordensburg als auch die Stadt wurden stark beschädigt. Der livländische Orden wurde endgültig vom russischen Zarenreich besiegt. Kaum begann die Stadt sich etwas zu erholen und die Schäden zu beseitigen, folgte der Polnisch-Russische Krieg, in dem die Ordensburg vollständig zerstört wurde. Nur noch die Schlossberge mit Mauerresten am See lassen heute die einstige Größe und Bedeutung der Ordensburg noch erahnen.

Es kam noch schlimmer. Eine neue Macht betrat die Schlachtfelder in Estland: die Schweden. Im 17. Jahrhundert entzogen die mittlerweile auch über große Teile des heutigen Estlands herrschenden Schweden Viljandi sogar die Stadtrechte. Es folgten über ein Jahrhundert lang weitere kriegerische Auseinandersetzungen, 1590-1595 der Russisch-Schwedische Krieg, 1617-1658 die Polnisch-Schwedischen Kriege, der Zweite Nordische Krieg 1655-1660, und der Russisch-Polnische Krieg 1654-1667. Alle diese Kriege gingen auch an Viljandi nicht spurlos vorüber.

Die Stadtrechte erhielt Viljandi, das inzwischen zum Zarenreich gehörte, erst 1783 wieder. Damals erließ Zarin Katharina II. eine Gebietsreform, in der sie Fellin zur Hauptstadt des gleichnamigen Kreises im Gouvernement Livland ernannte. 

Damit war Viljandi wieder an die Verkehrs- und Handelswege angeschlossen, Behörden zogen in die Kreishauptstadt ein, die Wirtschaft blühte auf, Arbeitsplätze entstanden und die Einwohnerzahl wuchs stetig an. Bis heute ist Viljandi Hauptstadt des Landkreises Viljandimaa und ein wichtiges Wirtschafts-, Kultur- und Verwaltungszentrum.

Sehenswertes in Viljandi – Ein Stadtrundgang

In Viljandi, dem Zentrum des Mulklandes (Mulgimaa) gibt es noch mehr zu sehen als nur die Überreste der Ordensburg. Viljandis Zentrum bietet eine vielfältige, gemütliche städtische Architektur in geschichtsträchtiger Umgebung, dazu Platz für viele Freizeitaktivitäten und viele Freizeiteinrichtungen. Den besten Blick über Stadt und Umgebung findet der Besucher auf dem Burghügel. Über die historische Hängebrücke geht es Richtung Stadtmitte. Vorbei führt der Weg am in Privatbesitz befindlichen Herrenhaus, einem Neorenaissance-Bau aus dem 19. Jahrhundert, deren einstige Eigner die Adelsfamilien de la Gardie und von Ungern-Sternberg waren. Sehenswert ist das Viljandi-Museum in der alten Apotheke. Über zwei Etagen wird die Geschichte von Viljandi bis in die Neuzeit gezeigt. 

Weiter geht es Richtung See zum Johan Laidoneri plats. Am Rand des Platzes steht der Alte Wasserturm (Vana veetorn), den man ersteigen kann. Von oben hat der Besucher aus 30 Metern Höhe einen tollen Blick über die Altstadt. Gegenüber vom Turm befindet sich das weiße Rathaus und dahinter sind noch einige Reste der alten Stadtmauer zu entdecken. Nicht weit entfernt sieht man schon den Treppenberg (Treppimägi), der über 158 Stufen hinunter zum Strand des Viljandisees führt. Bürgervillen aus der Gründerzeit finden sich an den Hängen des Berges.

Ob der guten Wasserqualität eignet sich der See bestens zum Schwimmen und Kanufahren. Wer mag kann sich einem Bootsauflug anschließen. Und natürlich: Wer einfach nur ausspannen möchte, relaxt und lässt die Beine ins Wasser baumeln.  

In der Umgebung Viljandis liegt der Nationalpark Soomaa mit dem höchsten Hochmoor Europas. Im Osten der Stadt ist auch der Võrtsjärv (dt. Wirzsee), der größte See Estlands in unmittelbarer Nähe. 

Zusammengefasst: Viljandi bietet zusammen mit der umgebenden Natur eine hohe Erholungsqualität. Wer die grandiose Natur um Viljandi herum einmal richtig auskosten will, findet auf der Reise „Estland zum Kennenlernen“ auch dafür Muße.

Kulturhotspot Viljandi

Bis über die estnischen Landesgrenzen hinaus bekannt ist Viljandi aber für seine vielen kulturellen Veranstaltungen. Die Stadt gilt als Kulturzentrum des estnischen Südens, wenn nicht gar des Landes.

Alle Jahre wieder findet in Viljandi im Juli das „Viljandi Folk Music Festival“ statt, eines der größten Volksmusik-Festivals im Baltikum. Die große Bühne im Schlosspark und die vielen Veranstaltungen in der Innenstadt erinnern an die Stimmung zur Zeit des friedlichen Freiheitskampfs in den frühen Neunzigerjahren, als es den drei baltischen Völkern gelang, den Willen zur Bewahrung der eigenen sehr lebendigen Traditionen, der Kultur und jeweiligen Identität ihrer Heimat friedlich in die nationale Unabhängigkeit zu überführen. 

Ein weiteres Groß-Festival und das Event mit der wohl längsten Dauer von September bis Januar ist das Nargenfestival. Dieses wohl vielfältigste Festival in Estland bedient so ziemlich alle erdenklichen Musikarten von Klassik bis Volksmusik und von Jazz bis hin zu elektronischer Musik sind fast alle Richtungen vertreten. Und: Von den Superstars der Musikszene bis zu aufstrebenden jungen Talenten ist hier alles zu finden.

Musik-Events stehen also in Viljandi im Focus. Jedoch gibt es auch andere Veranstaltungen wie die berühmte Rallye Estonia, ein Festival der Liebesfilme oder gleich mehrere Streetfood- Festivals. In Viljandi ist halt fast immer etwas los!