Pärnu – „Sommerhauptstadt“ Estlands

Pärnu (Pernau) liegt an der Westküste Estlands an einer geschützten Bucht am Rigaischen Meerbusen. Die Hafenstadt ist nur 128 Kilometer südlich von Tallinn gelegen und per Bahn oder Auto in zweieinhalb Stunden erreichbar. Der Badeort an der Mündung des Flusses Pärnu besticht mit einem traumhaften rund drei Kilometer langen breiten weißen Sandstrand in sonnenverwöhnter Südlage. Das brachte Pärnu früh den Ruf der „Sommerhauptstadt Estlands“ ein. Eine schöne Promenade mit Strandpark dahinter lädt zum Bummel mit Meerblick. Die gut zu Fuß zu besichtigende kompakte Altstadt mit vielen kleinen Läden, Restaurants, Pubs und Cafés sowie Vierteln mit schön restaurierten Holzvillen machen die 52.000-Einwohnerstadt zu einem attraktiven Urlaubs- und Badeort.

Wechselhafte Geschichte der Stadt am Meer

Den Fluss Pärnu (Bernu) erwähnte bereits der arabische Geograph und Reisende Al Idrisi (1100−1166) im Jahr 1154. Schon 1242 wurde am rechten Ufer des Pärnu-Flusses ein Ort mit dem lateinischen Namen Perona erstmals urkundlich erwähnt.

Im Jahr 1227 eroberte der Livländische Schwertbrüderorden die Insel Ösel (Saaremaa). Von da an gehörte auch Pernau zum neuen Bistum Ösel-Wiek. Der Schwertbrüderorden ging 1237 im Deutschen Orden auf. Bischof Henricus ließ am rechten Flussufer die Domkirche erbauen, die im Jahr 1251 geweiht wurde. Pernau wurde nun Bischofsresidenz. Nach Angriffen der Litauer wurde Alt-Pernau fast völlig zerstört. Zum Schutz errichtete der Deutsche Orden in Neu-Pernau (Uus-Pärnu) eine Ordensburg, die 1265 erstmals erwähnt wurde. Im Jahr 1318 erhielt Pernau, das an einer Handelsstraße lag, die Riga mit Reval (Tallinn) verband, die Stadtrechte und blühte zu einer bedeutenden Handelsstadt auf, die der Hanse beitrat als deren eisfreier Hafen immer bedeutender wurde.

Nach dem Ende des Deutschen Ordens im Jahr 1525 wurden alte Herrschaftsansprüche auf die Region neu belebt. Zwischen 1558 und 1583 tobte der Livländische Krieg in der Region, in dem Polen-Litauen, Russland und Schweden mit wechselndem Erfolg um die Oberhoheit im nördlichen Baltikum kämpften. So kam Pernau 1560 erst zu Polen-Litauen und 1617 dann zu Schweden. Unter schwedischer Herrschaft wurde die Stadt mit Festungsanlagen und Bastionen befestigt und zu einer starken Garnison ausgebaut. Während des folgenden Großen Nordischen Krieges eroberte das russische Zarenreich 1710 Pernau. Nach dem Frieden von Nystad wurde Pernau Teil des neuen Gouvernements Livland und dem Zarenreich angegliedert.

Die alte Stadtbefestigung wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert geschleift und die Entwicklung zum Badeort begann nachdem 1835 der Status als Festungsstadt aufgehoben wurde. An Stelle der Stadtbefestigungen entstand in den folgenden Jahrzehnten ein Gürtel mit mehreren Parkanlagen. Diese Entwicklung war für Pärnu so bedeutend, weil zur Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert der bis dahin so erträgliche Rohstoffhandel für Pernau durch die Seeblockade während der napoleonischen Zeit zusammenbrach und es zu einem rasanten Niedergang der Handelsstadt kam.

Schon 1838 wurde Pernaus erste Badeanstalt eröffnet, und bald wurden Sanatorien errichtet und Pernau wandelte sich zum Kurort. Als 1896 der Bahnhof fertiggestellt war, wuchs der Ort zu einer bevorzugten Sommerfrische der Reichen und Schönen des Zarenreichs heran. Pärnu war bald als Seebad mit herrlichen Sandstränden sowie als Badekurort mit Heil- und Schlammbädern bekannt. Bis heute zeugen zahlreiche historische Holzvillen im Bäderstil der Region von den Glanzzeiten.

Pärnu im kriegerischen Jahrhundert

Auch die Wirren nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, der Niederlage Deutschlands und dem Zusammenbruch des Zarenreichs konnten den Kurbetrieb nur bis 1920 stören. Am 23. Februar 1918 wurde auf dem Balkon des Endla-Theaters in Pernau die Republik Estland ausgerufen. Doch noch im Baltikum befindliche deutsche Landwehr-Truppen und bald eindringende bolschewistische Truppenverbände besetzten Estland, es kam zu militärischen Auseinandersetzungen. Daher wurden ebenfalls in Pernau im Januar 1919 estnische Truppen zum Schutz der Grenzen des jungen Staates gegründet. Nach1920 blühte der Badekurort Pärnu wieder auf. Das Publikum wurde trotz des Wegbrechens der Gäste aus Russland internationaler. Nun kamen die Bade- und Kurgäste auch aus Schweden, Deutschland und Lettland. Doch das bunte sommerliche Treiben dauerte nur knapp 20 Jahre.

Nach dem Hitler-Stalin-Pakt 1939 und seinem geheimen Zusatzprotokoll gehörte Estland zur für die Sowjetunion reservierten Interessensphäre. Nach dem Polenfeldzug wurde am 28. September 1939 der Deutsch-Sowjetische Grenz- und Freundschaftsvertrag abgeschlossen. Der schlug die baltischen Staaten und somit auch Estland der Sowjetunion zu. Der in Teilen geheime Vertrag sah unter anderem auch die Überführung der auf estnischem Territorium lebenden deutschbaltischen Minderheit ins Reich vor. Bis 1940 hatte so auch das Gros der Deutschbalten in Pärnu die Stadt verlassen. Dafür rückte 1940 die Rote Armee nach Pärnu ein, das nun Teil der Estnischen Sowjetrepublik wurde. Im Zuge des deutschen Feldzugs gegen die Sowjetunion wurde Pärnu bereits im Juli 1941 von deutschen Truppen eingenommen. Nachdem der Badeort 1944 in den Bereich der sowjetischen Luftwaffe gelangte, wurde die Stadt bei Luftangriffen stark beschädigt. Doch wurden die Trümmer nicht geschleift, sondern die Bauten wurden restauriert oder nach alten Plänen neu aufgebaut. Pärnu wurde wieder Teil der Sowjetrepublik Estland.

Der Kurbetrieb lief bald wieder an und die Stadt am Rigaer Meerbusen wurde wieder ein begehrter Badeort. Nicht nur die Nomenklatura machte hier gern Urlaub, auch weltbekannte Künstler wie David Oistrach verbrachten hier gern ihren Urlaub.

Pärnu heute – Die Sommerhauptstadt Estlands

Heute ist Pärnu wieder einer der Sommer-Hotspots in Estland mit einem Hauch des eleganten Flairs eines Badekurorts mit großer Tradition. Natürlich ist der fast weiße traumhafte Puderzuckerstrand die Hauptattraktion für die Urlauber. Nachdem Estland zum zweiten Mal unabhängig geworden war, wurde Pärnu 1996 wieder offiziell zur „Sommerhauptstadt Estlands“ ernannt. Immer zum Beginn der Sommersaison reist der Bürgermeister von Tallinn nach Pärnu und übergibt symbolisch die Schlüssel der Hauptstadt an den Bürgermeister von Pärnu. Auch das Publikum ist wieder international, Esten, Finnen, Schweden und Deutsche kommen zum Sommerurlaub. Pärnu ist gut erreichbar, denn es hat auch einen eigenen Flughafen und ist was den Auto-, Bahn- und Busanschluss betrifft gut mit Tallinn vernetzt. Immer mehr Besucher kommen auch mit dem eigenen Boot und finden im großen Yachthafen einen Liegeplatz.

In der kleinen Pärnuer Altstadt finden sich konzentriert die historischen Sehenswürdigkeiten der Stadt, wie die Elisabeth- und die Katharinenkirche, das Revaler (Tallinner) Tor und der Rote Turm. Die Villa Ammende, eine der am schönsten restaurierten historischen Jugendstil-Villen ist nur eine der alten Sommervillen der Sommerfrischler der Zarenzeit. In Pärnus neuem Konzerthaus der Stadt findet in jedem Sommer das internationale David-Oistrach-Festival statt, das an die zahlreichen Sommeraufenthalte des großen Geigers hier in Pärnu erinnert.  

Ein wichtiges Zeugnis für die Entwicklung und Befreiung Estlands ist das Denkmal für die erstmalige Ausrufung der Unabhängigkeit der Republik Estland am 23. Februar 1918 auf dem Balkon des damaligen Endla-Theaters. Damals wurde das Manifest an alle Völker Estlands verkündet. Das Theater stand damals dort, wo heute das Hotel Pärnu steht. Das Denkmal symbolisiert die Balkonszene.

Sehenswert ist auch das Lydia Koidula Museum, das an die beliebte estnische Dichterin erinnert, die auch als Publizistin und Aktivistin für die Zeit des „Nationalen Erwachens“ in Estland bedeutend war. Die Lyrikerin Lydia Koidula (1843-1886) verbrachte im Museumsgebäude zwischen 1850 und 1863 ihre Jugend. Damals beherbergte die Stadt die Schule, an der ihr Vater Johann Voldemar Jannsen als Lehrer tätig war. Er war nebenher noch der Begründer des estnischsprachigen Journalismus. Nach dem Abschluss des Mädchengymnasiums und eines Studienaufenthalts in Tartu legte sie an der Universität das Examen für Hauslehrerinnen ab, wurde aber nicht in dem Beruf tätig. Ihr Vater leitete ab 1857 die Zeitung Postimees. Im Jahr 1863 zog die Familie nach Tartu, wo Jannsen die Zeitung als Eesti Postimees fortführte. Dort trat seine Tochter Lydia in die Redaktion ein und begann ihr schriftstellerisches Schaffen. Die ersten Gedichte erschienen schon 1857 noch in deutscher Sprache, denn Deutsch galt damals als die Sprache der Gebildeten. Ihr erstes Gedicht in estnischer Sprache erschien 1865 unter einem Pseudonym in der Zeitung ihres Vaters. Im Jahr 1873 heiratete sie den lettischen Militärarzt Eduard Michelson und zog mit ihm nach Kronstadt. Als ihr Mann 1876 ein Stipendium für eine eineinhalbjährige Studienreise erhielt, begleitete sie ihn und lernte Breslau, Wien, Freiburg und Straßburg kennen. Als ihr Vater 1880 einen Schlaganfall erlitt, übernahm sie noch einmal die Leitung seiner Zeitung in Tartu. Doch schon 1882 wurde bei der Dichterin Brustkrebs festgestellt. Nach langem Kampf gegen die Krankheit starb Lydia Koidula 1886.

Doch nicht nur im Museum, auch im Zentrum von Pärnu begegnet dem Besucher die Lyrikerin Koidula in dem nach ihr benannten Park, dessen Zentrum die 1929 enthüllte und von Amandus Adamson geschaffene Skulptur ausmacht.

Pärnu ist also besonders im Sommer eine Reise wert. Am besten erkundet man Pärnu und Umgebung auf der Individualreise „Estland zum Kennenlernen“.