Nordischer Frühling

Im Frühjahr ins Baltikum reisen? Ja ist es da nicht noch sehr kalt und ziemlich dunkel? Das ist doch fast schon im russischen Norden! So oder so ähnlich ist oft die Replik, wenn man ankündigt, seine nächste Frühjahrsreise ins Baltikum unternehmen zu wollen.

Tatsächlich liegen die drei baltischen Länder nicht nur rund 1.000 bis 1.500 Kilometer nordöstlich der deutschen Landesgrenze bei Frankfurt (Oder). Vor allem Estland ist auch sehr viel nördlicher als Deutschland gelegen. Tallinn zum Beispiel liegt nämlich auf 59° 25‘ N. Das ist etwa die nördliche Breite von Anchorage, Bergen, Oslo, Stockholm und Helsinki.Und diese nördliche Breite ist gar nicht einmal so weit vom nördlichen Polarkreis entfernt, der auf 65°30 N verläuft.

Klimatisch bedeutet dies, dass Estland im Winter von einer durchgehenden Schneedecke bedeckt ist bei Temperaturen von tagsüber um die -5 Grad, nachts auch gern mal über -20 Grad. Die Tage sind kurz, es bleibt sechs Stunden lang eher dämmrig als hell. Im Sommer ist es umgekehrt, 19 Stunden Tageslicht und Temperaturen, die dann auch oft bei -25 Grad liegen, wegen der langen Sonnenscheindauer.

Spät, aber intensiv

Der Frühling ist Estland kommt spät, aber mit umso üppiger Kraft – er ist kurz und heftig. So richtig raus aus dem Winter geht es in der Regel erst ab Mai. Dann beginnt es im Land zu blühen. Es wird dann ab April – und wenn die Balten Glück haben auch einmal Ende März – langsam wärmer. Der Schnee schmilzt, und das führt manchmal dazu, dass die Flüsse über die Ufer treten. Alle Schmelzwasser abführenden Gewässer schwellen an und verfärben sich durch das mitgeführte Sediment ganz verschieden, je nach dem woher sie kommen.

Nur ganz wenige Tage dauert es, bis alle Schneereste verschwunden sind, und die Natur im April oder manchmal erst im Mai förmlich explodiert. Überall drängeln sich bunte Blumenblüten ans Licht, das Leben scheint wie neu zu erwachen, die Vögel sind eifrig beim Nestbau, die letzten Nachzügler der Kranich,-Gänse- und Enten-Schwärme kehren ins Sommerquartier zurück, Schwarz- und Weißstörche bessern ihre Nester aus. Überall ist Leben, finden die Paare der ganzen Tierwelt zusammen, es balzt, singt und röhrt. Selbst an den allerletzten Eisresten auf dem Meer sind arktische Enten und andere Wasservögel zu finden.

Lange Tage, kurze Nächte

Die Temperaturen werden immer angenehmer, es ist meist windstill und klare Mondnächte werden immer heller, so hell, dass Habichte oder Sperlinge zu erkennen, und Käuze zu hören sind. Die Tage werden schnell länger und mit der längeren Lichtdauer steigen auch die Temperaturen rasch an. Bald steht die Natur in frischer Pracht mit bunten Blütenteppichen und saftigem, prallem Grüne.

Im Mai lohnt eine Nationalparktour in Estland ganz besonders, die Naturliebhaber in Estland in drei ganz verschiedene Nationalparks führt und mit dem östlich von Tallinn gelegenen küstennahen Lahemaa-Nationalpark beginnt. Dort sorgt die Ostsee für maritime Einflüsse auf das sonst kontinentale Klima und für eine sehr milde Luft. Weiter führt die Reise in den Karula-Nationalpark in Südestland und den Soomaa-Nationalpark. Letzterer zeigt Estlands fünfte Jahreszeit, die Schneeschmelze bei der fast die Hälfte der Nationalparkfläche unter Wasser stehen kann.

Zugvögelschwärme und buntblütige Landschaften Da gilt es die Ankunft der letzten Zugvogelschwärme zu beobachten und zu entdecken, wie alles gleichzeitig zu blühen scheint, die Natur hat hier nicht viel Zeit bis zum Hochsommer, Flora und Fauna müssen sich sputen. Schon einen Monat später ist der Höhepunkt an Mittsommer bereits erreicht mit 19 Stunden Tageslicht und Temperaturen bis 25 Grad. Daher ist der Mai, in dem die Natur binnen weniger Tage den Frühling in einer atemberaubenden Farben- und Wuchskraft erlebt, eine wunderbare Reisezeit mit milden Temperaturen.