Königsberger Vergangenheit – Kaliningrader Aufbruch

Sie sind noch immer nicht zu übersehen, die Wunden, die der Krieg dieser Stadt geschlagen hat. Auf der Dominsel versagt bis heute die Vorstellungskraft, dass diese stille Grünanlage mit dem wieder aufgebauten Dom und dem Kantgrab einstmals das pulsierende, eng bebaute Zentrum Königsbergs war.

Doch gibt es auch im heutigen Kaliningrad noch einige Spuren der langen Geschichte und Kultur Königsbergs. Sie werden gehegt und gepflegt, vor allem von jungen Kaliningradern, die der Stadt ihre ganze Geschichte und damit so gut es denn geht das ganze Gesicht zurückgeben wollen.

Was diese Stadt aber noch mehr verändert hat als die Kriegszerstörungen, ist der völlige Austausch der Bevölkerung. So gibt es noch einige Spuren der deutschen Vergangenheit, doch ist das heutige Kaliningrad eine Stadt ohne Königsberger.

Geschichte Königsbergs

Königsberg gehört zu den frühen, durch einen Burgbau befestigten Gründungen des Deutschen Ordens, denn schon 1255 wurde mit dem Bau der Burg begonnen. Den Namen Königsberg erhielt sie zu Ehren des böhmischen Königs Ottokar I., der maßgeblich an der Eroberung des Samlands beteiligt war. Drei Orte traten hier gemeinsam nach außen als Königsberg auf. Es waren dies Altstadt, Löbenicht und Kneiphof, die sonst selbstständige Städte mit Kulmer Handfeste, Stadtbefestigung, einem Markt und einer Kirche waren. Zu einem gemeinsamen Königsberg vereint wurden die drei Städte erst 1724.

Zuvor war Königsberg als Hansestadt zu Wohlstand aufgestiegen, später wurde die Stadt auch politisch bedeutend, als sie 1457 Hochmeistersitz des Deutschen Ordens wurde. Nach der Säkularisierung des Ordensstaats 1525 wurde Königsberg Residenz der nun weltlichen preußischen Herzöge. In diese Zeit fällt auch 1544 die Gründung der berühmten Universität „Albertina“, deren berühmtester Gelehrter von 1755-1796 der Philosoph Immanuel Kant wurde. Im Jahr 1701 wurde die Stadt im Osten Preußens zum Krönungsort, als Friedrich III. von Brandenburg sich zum König Friedrich I. von Preußen krönte. Auch für spätere preußische Herrscher blieb Königsberg Krönungsort. Im Jahr 1815 wurde Königsberg Hauptstadt der Provinz Ostpreußen und des Regierungsbezirks Königsberg.

Die Königsberger aber blieben immer pragmatisch und huldigten im Siebenjährigen Krieg der russischen Zarin Elisabeth und wandten sich damit der großen Gegnerin von Preußenkönig Friedrich dem Großen zu. Friedrich strafte das unter der Zarenherrschaft blühende Leben Königsbergs mit lebenslanger herzlicher Abneigung gegen ganz Ostpreußen.

Einen neuen großen Wachstumsschub für die Stadt brachte das Schleifen der alten Befestigungsanlagen, die 1626-1634 zur Abwehr bei den Schwedischen Kriegen erbaut worden waren. Die Stadt konnte sich nun ausdehnen und wachsen, nur einige der Stadttore und Festungsanlagen blieben erhalten.

Den Ersten Weltkrieg überstand Königsberg schadlos, auch die sich anschließende Insellage Ostpreußens verkraftete die Metropole des Ostens. Der Zweite Weltkrieg spielte sich lange außerhalb von Ostpreußen ab. Erst als die Fronten nahe gekommen waren und die Stadt für alliierte Flugzeuge erreichbar war, fiel die Innenstadt in den Bombennächten des Augusts 1944 in Schutt und Asche. Den Rest gaben der Stadt am Pregel die Kämpfe des Winters und Frühjahrs 1945. Danach war von Königsberg so gut wie nichts mehr übrig.

Das sowjetische Kaliningrad

Nach der Einnahme Königsbergs wurde die Stadt 1946 zu Kaliningrad. Die nicht geflohene deutsche Bevölkerung wurde vertrieben, Russen wurden angesiedelt. Später wurde Kaliningrad zur Hauptstadt der Kaliningradskaja Oblast, dem Königsberger Gebiet, das bald selbst für Sowjetbürger mit Ausnahme der in der Region angesiedelten Menschen ein Sperrgebiet war. Das änderte sich erst nach dem Zerfall der Sowjetunion 1992. Die Unabhängigkeit Litauens und Weißrusslands sowie die Grenze zu Polen im Süden machte das Kaliningrader Gebiet zur Exklave ohne Landverbindung mit dem russischen Mutterland.

Der große Kant und die Dominsel

Die bedeutendste Sehenswürdigkeit der Stadt ist die Dominsel. Dass der ab 1333 erbaute und im Krieg schwer beschädigte Dom überhaupt als Ruine überstehen konnte, verdankte er dem 1924 in seiner jetzigen Form erbauten Grab Immanuel Kants. Der nämlich war auch zu Zeiten der Sowjetunion verehrungswürdig und galt dort als Vordenker des Marxismus. Heute legen an seinem Grab Kaliningrader Brautpaare den Brautstrauß nieder. Kant selbst ist schon seit Jahren wieder in der Stadt, denn Marion Gräfin Dönhoff übergab der Stadt Kaliningrad eine Kopie der 1857 von Christian Daniel Rauch geschaffenen Kant-Statue, die nun wieder an ihrem angestammten Platz an der Universitetskaja vor der Immanuel-Kant-Universität steht.

Eine von Kants Maximen soll auch für das heutige Kaliningrad prägend sein und ist an der Pregelbrücke des Leninskij prospekt auf einer Tafel in deutscher und russischer Sprache vermerkt:

„Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“

Neben dem Kant-Grab findet sich ein weiterer Gedenkstein. Ein Findling erinnert dort an den Theologen und Freigeist Julius Rupp (1809–1884), dessen Wohnhaus an dieser Stelle stand. Das Denkmal mit dem Bronzerelief ist eine Nachbildung des 1909 von Rupps Enkelin Käthe Kollwitz geschaffenen Originals.

Der 88 m lange und 30 m hohe Dom selbst steht nun wieder zwar etwas einsam, aber in alter Pracht als dreischiffige Hallenkirche auf der Dominsel. Er war ab 1457 Grablege der Ordenshochmeister und der preußischen Herzöge. Die heutige Gestalt mit der Doppelturnfassade gibt es seit 1455, als der Nordturm durch einen Brand die Spitze verlor und ein Satteldach erhielt. Ab den 1990er Jahren wurde die Domruine von einem deutsch-russischen Konsortium wieder aufgebaut. Die Glocken läuten wieder zu jeder Viertelstunde und zu jeder vollen Stunde erklingt der Beginn von Beethovens 5. Sinfonie. Ein Museum dokumentiert die Geschichte des Doms und des mühsamen Wiederaufbaus. Im Obergeschoss ist die Dauerausstellung „Immanuel Kant und seine Stadt“ untergebracht.

Was blieb sonst von Königsberg – Was sollte man gesehen haben?

Wendet man am Kantgrab den Kopf, kommt weithin sichtbar eine architektonische Bausünde in den Blick, das „Haus der Räte“. Es sollte die Avantgarde sowjetischer Architektur symbolisieren, als 1970 mit dem Bau begonnen wurde. Fertig und bezogen wurde es jedoch nie, denn es hat so gravierende statische Mängel, dass es als einsturzgefährdet gilt. Des sumpfigen Untergrunds wollte man mit 1148 Betonpfeilern Herr werden, doch das klappte nicht. Was blieb, war eine 72 m hohe 16-geschossige Scheußlichkeit auf 45.000 Quadratmetern Ödnis. Das Haus der Räte und der Privateigentümer blockiert bis heute alle Revitalisierungspläne des einstigen Zentrums am heutigen Zentralnaja Ploschad, wo einst das Schloss stand, dessen Ruine der sowjetische Staatschef Leonid Iljitsch Breschnew 1968 sprengen ließ.

Nicht versäumen sollte der Kaliningrad-Besucher das Bernsteinmuseum in einem der alten Stadttore, dem Dohnator. Zu sehen sind dort grandiose Bernsteinschätze. Weitere noch vorhandene Tore sind das Scharnhorst und Gneisenau gewidmete Roßgärter Tor, das Königstor, das Sackheimer Tor sowie der alte Wasserturm. Die 1912 erstmals erbaute Stadthalle wurde nach dem Krieg komplett neu aufgebaut und beherbergt heute das über die Region informierende Museum für Geschichte und Kultur. Historisch Interessierte werden sich gern den „Bunker (Blindasch) an der Universitetskaja 2 ansehen wollen. In diesem Befehlsstand unterzeichnete Festungskommandant Otto Lasch am 9. April 1945 die Kapitulation der „Festung Königsberg.“

Da die Stadt nur 90 km vom Grenzübergang Nida auf der Kurischen Nehrung liegt, können Sie einen Besuch von Königsberg/Kaliningrad sehr gut mit unserer Individualreise Königsberger Gebiet – Kaliningrader Oblast kombinieren. Unsere Baltikumprofis beraten Sie gern.

Kaliningrad selbst sieht sich als Russlands Fenster nach Europa. Ein Besuch lohnt in jedem Fall, denn diese Stadt ist spannend mit all ihren Wunden, Narben, Brüchen, Umbrüchen und den vielen kreativen Ideen auf dem Weg, eine neue regionale Identität zu finden. Mit ihrem deutschen Erbe eignet sich Kaliningrad gut für eine erste Begegnung mit Russland. Es werden weitere Reminiszenzen an die deutsche Vergangenheit und ihre Bauweise in der Stadt entstehen, wie sie im „Fischdorf“ mit einem Einkaufs-, Business- und Hotelzentrum im historisierenden Stil am Platz des früheren Fischmarktes am Pregel unweit des Domes zu sehen sind.