Der Emajõgi – alte Hansestraße und heutiges Naturparadies

Der Emajõgi entspringt unweit von Estlands bekanntestem Wintersportort Otepää als Väike Emajõgi (Kleiner Embach). Eine eigene Quelle des Flusses ist nicht auszumachen, gespeist wird der Kleine Embach von einigen Bächen und den Flüssen Pedeli und Purtsi, bevor er in den Võrtsjärv-See (Wirtzsee) eintritt, den er mit dem Peipus-See verbindet. Am Nordostufer des Võrtsjärv-Sees tritt er als Suur Emajõgi (Große Embach) wieder aus und fließt nun nach Osten weiter durch Tartu und Richtung Peipussee, in den er bei Praaga mündet. Dort befindet sich auch die estnisch-russische Zollstation. Tartu bekam des Flusses wegen analog zur Bezeichnung „Spree-Athen“ für Berlin von deutschbaltischen Studenten einst den Beinamen „Embach-Athen“. Von Tartu aus ist der Fluss schiffbar und durch den Peipussee und die Narva, die den nördlichen Austritt des 120 km langen Peipus-Sees bildet, mit der Ostsee verbunden.

Der Emajõgi in der Geschichte

Als Tartu (Dorpat) im Jahr 1280 der Hanse beitrat, wurde die Stadt rasch zu einem wichtigen Handelszentrum auf der Route, welche die Hansestädte in der westlichen Ostsee und das Gebiet des Deutschordensstaates mit den Märkten um Pleskau (Pskov) und Nowgorod erschloss. Besonders die Handelswege, die von Pärnu (Pernau), Tartu (Dorpat) und Tallinn (Reval) über den Peipusssee nach Nowgorod (Veliky Novgorod) führten, wurden rasch immer bedeutender. Dieser Handelsverkehr erfolgte zu jener Zeit noch weitgehend auf Wasserwegen, seit es mit größeren Schiffen wie dem Typ der Hansekoggen Transportmittel gab, die den Handelsumschlag ob ihrer großen Ladekapazitäten lukrativ machten und absolut seetüchtig waren. Vor allem die weitgehend noch als „Große Wildnisse“ unerschlossenen Gebiete waren für den Warenverkehr überhaupt nur auf dem Wasserweg zu erreichen. Dazu musste die Ladung auf kleinere Schiffe verteilt werden, Barken wie die Peipsi-Barke, die sowohl gesegelt als auch vom Flussufer gezogen werden konnten.

Schifffahrt, Tourismus und Wassersport auf dem Emajõgi

Insgesamt ist der Emajõgi 260 km lang, von denen die letzten 120 km von Tartu bis in den Peipus-See auch heute noch als schiffbar gelten. Realistischer ist es aber, den Abschnitt Tartu-Peipussee als für kleinere Ausflugsschiffe befahrbar zu kategorisieren. Gepaddelt werden kann der Fluss schon ab Tsirguliina, das 14 km nordöstlich von Valga entfernt liegt. Es gibt nicht viele Anlegestellen, die von Ausflugsschiffen genutzt werden können, denn die Ufer des Emajõgi sind im schiffbaren Bereich meist weite Sumpfgebiete, an denen keine Befestigungen für Kaimauern in den Grund gerammt werden können. Einiges geändert hat der 2014 eröffnete Sportboothafen Hafen Karlova für die Sportschiffer. Wer dort für eine Tagestour ein Boot mieten oder chartern und selbst führen möchte, braucht aber einen Bootsführerschein, in Estland gelten die EU-Regeln. Auch außerhalb von Tartu gibt es Sportboothäfen wie in Kavastu, Mäksa und Lääniste.

Verschiedene Touren mit Ausflugsschiffen wie dem „MS Alfa“ führen bis zu 80 Reisende vom Kai am Marktgebäude von Tartu aus zur Insel Piirissaar, oder auf ein- bis mehrstündige Flusserkundungstouren. Als Entdecker fühlen können sich bis zu 12 Reisende, die mit dem Wikingerschiff „Turm“ unter Segeln oder rudernd mit Muskelkraft auf Tour gehen. Der Geschichte der Hanse und der Handelsschifffahrt ganz nahe kommt man auf einer Tour mit der „Jõmmu“, einer 2006 zu Wasser gelassenen originalgetreu nachgebauten Barke vom 600 Jahre alten Peipsi-Typ. Dieser Schiffstyp konnte sowohl gesegelt als auch an den Flussläufen bei Flaute oder Gegenwind getreidelt werden. Dann schleppten Menschen den Kahn an langen Leinen vorwärts. Dieser Schiffstyp kam auf Binnenrevieren zum Einsatz.

Naturparadiese am Emajõgi

Auf der ornithologischen Naturexkursion „Die Vogelwelt 2 – Birkhahnbalz und Schreiadler in Ostestland“ erkunden naturinteressierte Reisende in einer kleinen Gruppe die Vogelwelt in den Naturparadiesen Alam-Pedja und Emajõgi Suursoo bei einer Bootstour auf dem Emajõgi. Gerade die beiden großflächigen Naturschutzgebiete machen die Landschaft um den Emajõgi für Naturliebhaber so reizvoll.

Das Naturschutzgebiet Alam-Pedja erstreckt sich nordwestlich von Tartu auf einer Fläche von mehr als 34.000 Hektar und umfasst die Gebiete um den Oberlauf des Emajõgi. Weite Flusstalmoore mit unberührten Urwäldern, Flüssen und Bächen sowie Moorinseln charakterisieren diese urwüchsige Naturlandschaft. Bei jeder Schneeschmelze werden diese Gebiete großflächig überschwemmt. Diese Region mit dem verlandenden Wirtzsee (Võrtsjärv) und den 55 Flussrinnen des Emajõgi beinhaltet bedeutende Laichplätze und die Kinderstuben der Fischpopulationen von Võrtsjärv und Peipussee und sind wichtig für den großen Fischreichtum der Region. Zudem sind die Flussauen wichtige Brutplätze zahlreicher Vogelarten – darunter gleich mehrere Adlerarten, Schwarzstörche und seltenen Limikolen wieder der Doppelschnepfe – sowie Rastplatz für Entenarten und Schwäne während des Vogelzugs.

Das 250 Quadratkilometer große Naturschutzgebiet des Emajõe-Suursoo-Moors liegt am Mündungsdelta des Emajõgi in den Peipussee. Das Moorgebiet entstand nach der letzten Eiszeit. Dazu gehört ein kleinerer Hochmoorteil, am größten aber sind die Nieder- und Übergangsmoore, die auch heute noch wegen der fortschreitenden Landsenkung wachsen. Genau wie im Naturschutzgebiet Alam-Pedja gibt es auch hier durch die Schneeschmelze bedingte weite Überschwemmungen. Dazu findet man in diesem Naturschutzgebiet acht Seen und rund 80 Moorinseln. Im Süden des großen Moors schließen sich die Wälder von Peravalla an. Das ganze Naturschutzgebiet ist in seiner Urwüchsigkeit mit Ausnahme einiger Moorpfade nur schwer zu passieren. So empfiehlt sich zur Erkundung eine Bootstour im Mündungsdelta. Dabei wird der Naturliebhaber sibirische Schwertlilien, Moorsteinbrech und Lungen-Enzian entdecken und vor allem während des Vogelzugs unzählige rastende Vogelarten beobachten können.