An den Ufern der Gauja – Landschaften und ihre Geschichten entdecken

Die Gauja, auch Livländische Aa oder estnisch Koiva benannt, ist der lettischste aller Flüsse. Obwohl mit ihren 452 Kilometern nach der Daugava (dt. Düna) nur der zweitlängste Fluss Lettlands, ist sie doch was die Geschichte des Baltikums, die Erdgeschichte und die Welt der Mythen und Legenden betrifft, Lettlands bedeutendster und viel besungener Fluss.

Der Gauja-Fluss

Die Gauja fließt in der historischen Landschaft Livland, dem heutigen lettischen Vidzeme. Nach ihrem Ursprung im kleinen Ezupitis-Fluss in den Vidzemer Höhen durchfließt sie einige Seen in einem weiten Bogen durch die Livländische Schweiz und weiter an der heutigen lettisch-estnischen Grenze entlang. Sie macht dann eine Wendung nach Südwesten und fließt in einem weit werdenden Tal dann durch den Gauja Nationalpark zum Rigaer Meerbusen, wo sie bei Carnikava in die Ostsee mündet. Dabei fließt sie mal etwas behäbig im sandigen Bett durch weite Täler, mal wildromantisch durch tief eingeschnittene felsenreiche Passagen und wirbelnde Stromschnellen. Zwischen steilen Abhängen und Hügeln mäandert der Fluss durch tiefgrüne dichte Wälder zwischen Steilufern und Hängen. Die Kraft des Wassers hat sich mit tiefen Einschnitten seinen Weg durch den rötlich-bräunlichen Sandstein gebahnt und dabei Grotten und Höhlen aus dem Fels gewaschen.

Bewohnt war die Region schon im Jahrhundert vor Christi Geburt, als hier die Liven siedelten, ein finno-ugrischer Volksstamm. Schon in alten Zeiten war die schiffbare Gauja ein bedeutender Handelsweg. Noch bis zur zweiten Hälfte des 20.Jh. wurde auf ihr Holz geflößt. Gleichzeitig war sie der Grenzfluß zwischen den finno- ugrischen livischen und den baltischen lettgallischen Regionen.

Der Gauja-Nationalpark

Gegründet wurde der Gauja-Nationalpark schon 1973 als erster Nationalpark auf dem Gebiet des heutigen Lettlands. Er umfasst einen Bereich von gut 95 Flusskilometern auf einer Fläche von 91.745 ha. Er schützt den schönsten und malerischsten Teil des Gauja-Urstromtals zwischen Valmiera und Sigulda mit Taltiefen von 20 bis 85 m sowie einer Breite von bis zu 2,5 km. Die geschützte Region wartet mit einer großen Naturvielfalt sowie einer genauso bedeutenden Zahl von Kulturdenkmälern auf. Ein Drittel aller Naturschätze Lettlands und über 500 Kulturdenkmäler sind innerhalb der Parkgrenzen zu finden. Der Gauja-Park ist Lebensraum für mehr als 900 Pflanzen und über 150 Vogelarten, dazu 40 Fischarten und 48 Säugetier-Gattungen, darunter auch Bären. Fast die Hälfte des Parks besteht aus Wald. Vor allem im Herbst sind diese Wälder ein beliebtes Reiseziel, wenn sich das Laub bunt verfärbt. Viele kleine Seen und Moorgebiete in der hügeligen Landschaft ergänzen die Vielfalt dieses größten Naturschutzgebietes des Baltikums.

Sandstein – Ein Stück Erdgeschichte bei der Amata-Wanderung entdecken

Das Gauja-Urstromtal ist eine faszinierende Landschaft in dem in 80 Metern Tiefe die Gauja fließt. Heute weiß man, dass sich unter dem sichtbaren Tal noch ein weiteres befindet, dass viel älter ist und im Devon-Gestein liegt. Die Entwicklung dieses besonderen Urstromtals begann 370 bis 300 Millionen Jahr vor unserer Zeitrechnung. Das heutige Aussehen bekam das Gauja-Tal vor etwa 12-13.000 Jahren, erst dann begannen die Anspülungen des schmelzenden Eises es langsam zu seiner heutigen Form umgestalteten.

Der Felsaufschluss "Zvārtes iezis"

Aus der Devonzeit stammen auch die Sandsteinausschlüsse im Gauja-Tal. An den Ufern der Amata, einem Nebenfluss der Gauja ist der 19 m hohe „Zvārtes iezis” als einer der malerischsten Felsen bekannt, von dem man auch den besten Blick auf die Schlucht hat. Der Sandsteinausschluss besteht aus einer 44 m hohen halbbogenförmigen Schlucht von fast 200 m Länge. In der Nähe sind weitere Felsen wie der „Miglas iezis” zu besichtigen.

Vom Fels „Zvārtes iezis” führt ein schöner Naturweg an der Amata entlang der zum Wandern einlädt. Es sind längere und kürzere Wanderungen von fünf bis zwölf Kilometer Länge möglich. Im Besucherzentrum kann man auch Führungen buchen, oder als ganz besonderes Erlebnis eine Nachtwanderung an der Amata unternehmen. Dann kommt auch die Magie besonders zur Geltung, denn dies ist die Landschaft der Hexen.

Rund um Sigulda und Cesis: Im Land der Burgen

Doch ist nicht nur die Landschaft sehenswert, auch die Geschichte hat hier viele Zeugnisse hinterlassen. Mehr als 500 kulturhistorische bedeutende Denkmäler gilt es zu entdecken, Burghügel, Burgen und Burgruinen, Kirchen und prächtige Landgüter der Baltendeutschen. Immer war die Gauja auch ein Quell vieler Mythen, Sagen und Legenden. Fast alle hatten mit dem Burgenreichtum der Gauja-Region zu tun und der mal wilden und mal romantischen Landschaft und sind dort lebendig geblieben.

Die meisten dieser Denkmäler im Gauja-Nationalpark sind rund um die Städte Sigulda und Cesis konzentriert. Hier dominierte schon im Mittelalter das Leben der livischen Stämme. Archäologen fanden auf den alten Burgbergen von Liven und Lettgallen Reste alter Holzburgen, denn die schiffbare Gauja war immer auch ein wichtiger Handelsweg.

Cesis – Handelsstadt und Ordenssitz

Cesis beherbergt die einstige Hauptburg des Livländischen Schwertbrüderordens, die ab 1209 von den Rittern des Schwertbrüderordens erbaut wurde und mit drei Vorburgen gesichert war. Von 1237 bis 1561 war sie Ordenshauptsitz. Die Burg Cesis hat viele Kriegshandlungen erlebt. Als Ivan der Schreckliche 1577 vor den Toren von Cesis stand, sprengte sich die Besatzung in die Luft und zerstört die Burg fast völlig. Sie wurde wieder aufgebaut doch 1721 im Großen Nordischen Krieg endgültig zerstört. Das zugehörige Gut wurde 1777 von der Familie von Sievers übernommen, die ihr neues Schloss an die Ostmauern der Burgruine und am Turm anbauten. In diesem neuen Schloss befindet sich seit 1949 das Geschichtsmuseum von Cesis. Die Burgruine mit dem angebauten Schloss ist heute zudem ein romantischer Ort mit spannender Geschichte und viel Mittelalterflair. Vom Turm hat man einen grandiosen Blick bis weit über die Stadt. Das 1224 erstmals erwähnte Stadt Cesis wurde wegen ihrer Lage an der Gauja schnell zu einer erfolgreichen Handelsstadt, die im 14. Jahrhundert der Hanse beitrat und sich ihren mittelalterlichen Stadtkern bis heute erhalten hat.

Bekannt ist Cesis der Legende nach auch als Geburtsstätte der lettischen Nationalflagge. In Cesis wurde der lettische König Visvaldis im Kampf gegen eindringende Feinde schwer verwundet. Er legte sich zum Sterben auf die weiße Kapitulationsfahne. Sein Blut färbte die Fahne an beiden Seiten seines Körpers blutrot ein. Dort aber, wo der Körper des Königs lag, blieb das Tuch weiß. Diese dunkelrot-weiß-dunkelrote Flagge ist seit 1270 als Banner der Letten schriftlich belegt. Seit 1870 gilt es als lettische Nationalflagge.

Sigulda – Das Mekka des Schlittensports

Sigulda ist das Tor zum Nationalpark und die nach Riga wohl bekannteste lettische Stadt, denn die Bob- und Rodelbahn "Sarajevo" und viele hochrangige Wintersportereignisse tragen die Fernsehbilder der 10.000 Einwohner-Stadt in die Welt hinaus. Der Ausblick von dort oben bietet ein tolles Panorama der weiten Wälder des Gauja-Nationalparks. Genauso großartig ist der Blick von der Seilbahn aus, die in 80 Metern Höhe die Gauja Richtung Krimulda (dt. Cremon) überquert.

Attraktive Wanderwege führen zu den Höhlen, Quellen und Legenden in Siguldas Umgebung. Früher badeten Mütter ihre Neugeborenen im Wasser der Weisheitsquelle Gudribas Avotins im Glauben, das Wasser würde mit seinen übernatürlichen Kräften ihre Kinder klug werden lassen. Bei Turaida liegt die fast 19 Meter tiefe Gutmannshöhle Gutmana Ala, die als größte Höhle Lettlands gilt.

Die Burg Sigulda steht am Rand des Urstromtales Gauja hoch oben auf einem Ufervorsprung mit drei steilen Abhängen. Die rückwärtige Burgfront steht auf der von Flachland gekennzeichneten Abbruchkante zum Gaujatal und wurde durch eine äußere Vorburg und Teiche gesichert. Die Burg selbst besteht aus der inneren Vorburg, die das Ordenskastell, also die Hauptburg sicherte. Begonnen wurde mit dem Bau der Burg zu Beginn des 13. Jahrhunderts, als Dolomitsteine zu einem rechteckigen Bau mit drei Meter dicken Wänden verarbeitet wurden. Dieser Bau steht auf einem rund 10x10 Meter großen Keller, dessen Gewölbedecke auf einer einzigen runden Kolonne im romanischen Stil ruhte. Ein Teil dieses ersten Burgbaus wurde später auf der Hofseite in den Bau des Kastells einbezogen. Die seit den kriegerischen Auseinandersetzungen des 17. Und 18. Jahrhunderts stark beschädigte Burg wurde im 19. Jahrhundert nach den damaligen Idealen einer romantischen Burgruine konserviert und gesichert.

Rund um Sigulda finden sich weitere Burgen wie die malerisch im Wald versteckten verwunschenen Ruinen der Domkapitelsburg, das neue Schloss Krimulda oder die schön rekonstruierte, bereits 1214 erbaute Burg des Bischofs von Riga im Ortsteil Turaida. In diesem Ortsteil zieht im Park der Burg von Turaida das Grab der Rose von Turaida Besucherströme an. Im Jahr 1601 fand der Burgschreiber auf der Suche nach Überlebenden einer Schlacht einen Säugling bei der toten Mutter liegend. Er nahm das Kind zu sich, gab ihm den Namen Maja und zog es wie seine Tochter auf. Das zur Schönheit herangewachsene Mädchen wurde Rose von Turaida genannt. Sie liebte den Schlossgärtner Viktor, mit dem sie sich verlobt hatte. Die beiden Liebenden trafen sich immer bei der Gutmannhöhle. Dort aber lauerte Maja der polnische Offizier Jakubovsky auf und wollte sie zur Eheschließung zwingen. Maja wollte ihm ihr Halstuch überlassen, wenn er sie gehen ließ, denn dieses Tuch würde ihn unverwundbar machen. Doch Jakubovsky tötete sie. Es war Viktor, der die Leiche Majas fand und sofort verdächtigt wurde, ihr Mörder zu sein. Doch ein Zeuge sagte vor Gericht aus, er selbst habe den gefälschten Brief Viktors überbracht, der Maja zur Höhle bat. Viktor beerdigte Maja und pflanzte an ihrem Grab eine Linde. Er wurde nie wieder in Turaida gesehen. Doch legen bis heute alle frisch vermählten Paare auf dem Grab der Rose von Turaida den Brautstrauß nieder.