Riga, die Hauptstadt des Jugendstils

Riga die 1201 gegründete lettische Hauptstadt hat seinen Besuchern viel zu bieten. So viel, dass Rigas Innenstadt zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt mit der herrlich restaurierten Altstadt, die durch die hohe Zeit der Hanse geprägt ist. Vom Schwarzhäupterhaus bis zur Petrikirche zeugen Dutzende von Baudenkmälern von Rigas Internationalität und als Treffpunkt europäischer Kulturen an der Nahtstelle von Ost und West.

Doch Riga hat noch mehr zu bieten als die Hansezeit. Die Stadt, die auch gern „Paris des Ostens“ genannt wird, hat neben der prächtigen mittelalterlichen Architektur noch eine ganz andere schöne Seite zu bieten, die Neustadt. Dieses nach dem Schleifen der Stadtbefestigungen angelegte Viertel machte Riga zur Hauptstadt des Jugendstils.

Das zu jener Zeit zum Zarenreich gehörende Riga war bis zum Ende des 19.Jahrhunderts stark vom deutschbaltischen Adel und Geldadel geprägt. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die alten Stadtbefestigungen geschliffen und das Verbot des Baus von steinernen Häusern außerhalb der Stadtgrenzen aufgehoben. Nun konnte sich die Stadt ausbreiten und die Einwohnerzahl stieg von 100.000 auf über 450.000 an. Zwar blieb Deutsch noch bis zur Jahrhundertwende Amtssprache, doch änderte sich die Bevölkerungszusammensetzung völlig. Vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs war nun fast jeder zweite Rigaer Lette, ein Fünftel waren Russen und nur noch jeder Sechste war Deutschbalte. Vor allem für das russische Großbürgertum und den Adel war Riga mit seiner westlichen Lebensart attraktiv geworden. Weitsichtige Stadtpolitik schuf die Infrastrukturen einer modernen Stadt mit großzügigen Städtebaukonzepten. Diese Stadtbauplanung schuf auf den alten Wallanlagen Raum für großzügige Villen und prächtige Mehrfamilienhäuser an breiten Boulevards, wie sie auch in Paris oder Wien angelegt wurden. Wie überall im westlichen Europa war der Jugendstil, der in Frankreich Art Nouveau und in Wien Sezession genannt wurde auch in Riga stilprägend. So war Riga auch zu dieser Zeit eine sehr moderne Stadt.

Nach dem Schleifen der Befestigungsanlagen, die Riga bis an die Daugava (dt. Düna) umschlossen, entstand dort ein Park mit einem Wasserlauf. Daran schloss sich die entstehende Neustadt an. Breite Boulevards wurden bald von prächtigen Stadtresidenzen und mehrstöckigen Prachtbauten umstanden, die zum Schönsten und künstlerisch Wertvollsten gehören, was der Jugendstil hervorgebracht hat. Jeder, der etwas galt in diesem Teil des Zarenreiches wollte dort bauen, die Architekten überboten sich mit Prachtentwürfen. Dabei heraus kam eine Ansammlung von rund 800 Jugendstilbauten in Riga, die in dieser Dichte weltweit einmalig ist.

Die Rigaer Jugendstilarchitekten

Von Bedeutung für den kulturhistorisch interessierten Reisenden dürfte es sein, dass Riga ganz eigene Ausprägungen des Jugendstils herausgebildet hat, die sich deutlich von der Wiener Sezession oder dem deutschen Jugendstil oder gar dem französischen Art Nouveau-Stil unterscheidet. Und genau diese Varianten wurden wichtig für das Herausbilden des lettischen Nationalbewusstseins. Besonders wichtig für das erwachende Nationalbewusstsein der Letten war die „Nationale Romantik“ im Jugendstil. Es waren drei Architekten, die diese speziellen Varianten des Jugendstils entwickelten, die nur in Riga zu finden sind, haben sie doch deutliche Anklänge an lettische geistige Traditionen.

Hauptprotagonisten dieses Stils sind die Architekten Michail Ossipowitsch Eisenstein (1867-1921), Konstantīns Pēkšēns (1859-1928) sowie Eižens Laube (1880-1967) – Letztere beide Letten. Der deutschbaltisch-jüdische Architekt Eisenstein aus St. Petersburg hatte den russisch-orthodoxen Glauben angenommen, wurde 1983 Stadtbaurat in Riga und war einer der wichtigsten Ideengeber und Planer in Riga. Er war der Vater des Filmregisseurs Sergej Eisenstin. Am produktivsten aber war Pēkšēns, der allein 200 der 800 heute noch erhaltenen Jugendstilvillen entwarf, darunter fast alle Bauten der Alberta iela (dt. Straße).

Die Rigaer Jugendstilvarianten – Schlüssel zum Verständnis einer Nation

Das Herzstück des Rigaer Jugendstils ist das Viertel der Botschaften sowie die Elizabetes iela und die Alberta iela, an der alle drei Rigaer Stilrichtungen zu betrachten sind.

Erste der drei speziellen Rigaer Jugendstilvarienten ist der „dekorative Stil“, für den man in der Alberta iela 2a ein schönes Beispiel findet. Es ist durch die beiden dort wachenden Sphinxe leicht zu finden. Reichhaltig verziert ist die Fassade mit Dämonen, Fratzen und nackten, tanzenden Frauen.

Die zweite lettische Stilvariante ist der „lotrechte Jugendstil“ mit seiner konsequent senkrechten und streng symmetrisch nach oben strebenden Bauweise, wie an der Alberta iela 8. Herausgeputzte Frauenköpfe sowie Ranken und florale Ornamente, die oft an Holunderblüten erinnern, lösen die Strenge der Lotrechten auf.

Im Haus an der Alberta iela 11 finden Sie ein typisches Beispiel für den „national-romantischen Stil“ mit runden und eckigen Erkern sowie Reminiszenzen an die traditionelle lettische Holzbauweise und Ornamente aus der lettischen Überlieferung sowie Mustern aus der lettischen Volkskunst.

Die Rigaer Neustadt mit ihren fantastisch restaurierten Jugendstilbauten schließt sich direkt nördlich an die Altstadt an, ist also ganz zentral gelegen. Während unserer Individualreise Riga - Jugendstil und Backsteingotik an der Ostsee kann auch das Jugendstilviertel ausführlich besichtigt werden, denn innerhalb unserer Individualreisen bestimmen Sie ganz nach ihren Interessen, wo Ihr Besichtigungsschwerpunkt liegt.

Sie merken aber auch rasch von weitem, wo die Jugendstilstraßen beginnen. Dort nämlich sehen Sie lauter Menschen in ungewöhnlicher Körperhaltung: den Kopf in den Nacken gelegt, mit einem die Fassaden hinaufwandernden Blick und staunendem Gesichtsausdruck.